Unterstützung, Rückhalt und Fürsorge (*)
Michaela Schweighofer geht es in ihrer Kunst auch um Vernetzung, gemeinsames Tun und eine fürsorgliche künstlerische Tätigkeit.
Direkt zum *Update 2021
In ihrer Bewerbung für das zweijährige KUNSTRAUM STEIERMARK-Stipendium spricht die Künstlerin gleich mehrere Komponenten an, die sie in diesem Rahmen gerne umsetzen möchte: Aufbau eines Ateliers in der Grazer Innenstadt, wo auch internationale Künstlerinnen einen Raum zum Arbeiten und Vernetzen vorfinden - Michaela Schweighofer ist es wichtig, mit und für Frauen zu arbeiten - und Etablierung eines Ausstellungsprogramms im Musikpavillon des Grazer Stadtparks. Dort sind vier bis sechs Ausstellungen pro Jahr geplant, die jeweils für einen Tag Werke einer Bildhauerin zeigen. Diese Arbeiten sollen innerhalb eines Tages auf- und abgebaut werden können, mit der Vorgabe, dass sich die jeweilige Künstlerin in ihrem Werk an der Architektur und Geschichte des Pavillons orientiert.
Nach ihrem Studium in Graz - englische und amerikanische Literatur, Psychologie und Philosophie - setzte Michaela Schweighofer ihre Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste in Wien fort, wobei die Arbeit mit Video und Videoinstallationen prägend war, doch schien ihr noch etwas für ihre künstlerische Sprache zu fehlen. So näherte sie sich immer mehr der Bildhauerei und konnte durch ihre kuratorische Tätigkeit an der „Galerie der HFBK" ihre Vernetzungs- und Vermittlungsgedanken erstmals umsetzen. Einen Teil ihres Kunststudiums absolvierte sie an der Hochschule für bildende Kunst in Hamburg (HFBK). Dort wuchs ihr Bedürfnis, in einer männer- dominierten Struktur eine Plattform für andere Künstlerinnen aufzubauen, um weibliche Positionen in der Kunst sichtbar zu machen. Denn, wie sie betont, ist die Geschichte der Bildhauerei vom männlichem Pathos geprägt. Skulptur gilt oft noch immer als zentral und maskulin und Handwerk als marginal und feminin. Michaela Schweighofer arbeitet mit verschiedensten Materialien, von Stahl über Textil bis Keramik, wobei ihr Augenmerk auf dem Zusammenspiel von Konzept, Materie und Materialien liegt sowie der Spannung, die gestalterisch in einem Raum Möglichkeiten offenbart. Sowohl in ihrer künstlerischen Arbeit als auch in ihrer vernetzenden kuratorischen Tätigkeit steckt die Energie des Stützens und Umsorgens - eine mehrdeutige Care-Funktion. So spiegelt ihr großes Interesse an Bühnen genau diese Frage wider: „Was kann Stütze sein?" Das englische Wort „prop" steht sowohl für Requisite als auch für Stütze. Sagt man „Props to you" zollt man Respekt. Das „prop" meint Rückhalt, Unterstützung und steht auch für eine bauliche Konstruktion, die hilft, etwas zu halten und zu stabilisieren.
In ihrem Projekt „TO TAKE ON STAGE" beschäftigt sie sich mit der Frage nach der Sichtbarkeit von Künstlerinnen einerseits und andererseits mit Bühnen, Kulissen und Props. Sie bat fünf Künstlerinnen - Ahu Dural, Birke Gorm, Cornelia Lein, Marlene Maier, Gianni Virginia - Texte zu schreiben: „Die Texte, die entstanden sind, beziehen sich auf Support Systeme sowie Arbeitspraxen und auch auf das Entwerfen von Fiktionen rund um die eigene Identität und die Angst vor dem Kontrollverlust über die eigene Repräsentation." Die Bühne - eine Rauminstallation mit fassenden und umgreifenden Händen und Schnüren sowie zwei blauen Sesseln - wurde zwei Tage lang mit Performances bespielt. Die Installation steht für sich selbst, lässt aber auch die Möglichkeit offen, bespielt zu werden. Damit verschwinden auch die Grenzen zwischen einem Vor und Hinter der Bühne. Das Aufeinandertreffen verschiedener Arbeiten, die auf einen Schnittpunkt zusteuern, trägt auch das Konzept des Grazer Stadtparkpavillons.
Care-Arbeit ist ein wichtiges Thema für Michaela Schweighofer. Geht es ja um Frauen und Männer gleichermaßen, um ein Wechselspiel zwischen Geben und Nehmen und auch um das Bewusstsein, „zurücktreten zu können und andere vortreten lassen". Anfang 2020 bringt sie eine Anthologie zu dem Thema heraus, in der neun Autorinnen, sich mit der Installation und Bühne und der Skulptur und dem „prop" auseinandersetzen.
In ihren Arbeiten findet sich ein investigativer Zugang. Ideen und Konzepte werden an einem Ort des Denkens, ihrem Atelier, entwickelt. Die Umsetzung erfolgt in diversen Werkstätten, je nachdem, mit welchen Materialien sie arbeiten möchte. „Ich arbeite mit so vielen Dingen, ob Keramik, Holz oder Metall", erzählt Michaela Schweighofer, die sich ihr handwerkliches Know-how selbst aneignet.
Text aus der Publikation zu den Landes-Kunst- und Kulturpreisen 2019
Herbst 2019
*Update 2021: Künstlerischer Freiraum
Das WIELS ist ein international renommiertes Zentrum für zeitgenössische Kunst, das gleichzeitig ein Atelier-Programm für zehn Kunstschaffende ausschreibt, die ein halbes Jahr lang intensiv betreut ihre künstlerische Praxis präzisieren können. Das Land Steiermark kooperiert mit dem WIELS seit 2019 und vergibt jährlich ein "Artist in Europe"-Stipendium für steirische Künstler*innen. Das Auswahlverfahren ist aufwendig und genau, die Betreuung intensiv. Wöchentliche Treffen mit den drei Mentor*innen Sylvie Eyberg, Michael Van den Abele und Simon Thompson öffnen Feedback- und Diskussionsraum für jede*n einzelne*n Künstler*in und der jeweiligen Position bzw. der Entwicklung künstlerischer Zugänge und Werke.
Für Michaela Schweighofer war der Brüssel-Aufenthalt die Chance, sich ausschließlich und daher besonders fokussiert mit ihren künstlerischen Positionen zu beschäftigen. „Die Stadt Brüssel war aufregend, inspirierend und so anders, als sie in den medialen Bildern gezeigt wird." Michaela Schweighofer beschreibt die Stadt als extrem unaufgeräumt und unorganisiert, dies mache das eigene Denken lockerer und freier. Die Vielfalt der Stadt ist auch in der Architektur Brüssels zu finden, die von kleinfranzösisch im Stadtkern über brutalistisch-moderne Fabrikarchitektur bis zu Art-nouveau-Einfamilienhäusern und den Glasbauten des Finanz- und EU-Quartiers reicht. So prägte zum Beispiel der Architekt Victor Horta ähnlich wie Otto Wagner in Wien das Brüsseler Jugendstil-Stadtbild. Dies mache die Stadt romantisch und problematisch zugleich, da sie Einschreibungen der sozialen Beziehungen einer Gesellschaft sind, die sie gebaut hat.
„Unsere Städte sind das in Stein, Ziegel, Glas und Beton geschriebene Patriarchat", zitiert Schweighofer die feministische Geografin Jane Darke. Dies prägt und beeinflusst soziale Beziehungen, Macht und Ungleichheit. Die Ausgangspunkte von Schweighofers künstlerischen Objekten sind meist Textilien, die aus dem Zuhause kommen und dem weiblichen-queeren Kleiderschrank entwendet sind. Materialien sowie Räume und Arbeit sind stark gegendert. In Schweighofers Atelier fließt die Architektur der Stadt und das Interieur des Hauses ineinander: Es entstehen Objekte, bei denen das Äußere mit dem Inneren verschmilzt, die Stadt mit dem Zuhause, das Weibliche mit dem Männlichen.
Das Besondere am Arbeiten im WIELS war, „sich freizumachen und täglich ungestört künstlerisch tätig sein zu können." Die entstandenen Ideen, die Möglichkeit der sofortigen Umsetzung und des Ausprobierens haben Schweighofer beeindruckt. Verstärkt wurde der Arbeitsprozess durch die Gruppendynamik, die innerhalb der Stipendiat*innen aus aller Welt und unterschiedlicher Genres entstand, und durch die wöchentlichen Jour fixes und Feedbacks der Mentor*innen. Michaela Schweighofer ist nicht nur mit neuen Kontakten zurück nach Österreich gekommen, sondern auch mit viel Reflexion: „Man lernt die eigene Arbeit besser kennen, verwirft, probiert aus, scheitert, entwirft neu und Dinge beginnen zu gelingen."
Kurzbiografie Michaela Schweighofer
Geboren 1983 in Graz, lebt und arbeitet in Wien. Sie studierte an der Grazer Universität von 2001 bis 2007 und absolvierte das Studium für englische und amerikanische Literatur, Psychologie und Philosophie. Von 2007 bis 2016 studierte sie an der Akademie für bildende Künste in Wien, dazwischen war sie zwei Jahre an der Hochschule für bildende Künste (HFBK) in Hamburg.
Petra Sieder-Grabner
September 2021