Die Freiheit, Musik auszuloten
Die herausragende Musikerpersönlichkeit Günter Meinhart verbindet in seinem vielseitigen Schaffen gleichermaßen und gleichwertig seine Musikprojekte und die Förderung musikalischer Bildung aller Altersklassen in seinen eigenen Schulen und auch an der Grazer Kunstuniversität.
Herzliche Gratulation zum Großen Interpretationspreis des Landes Steiermark 2020! Was war deine erste Reaktion, als du von diesem Preis erfuhrst?
Ich war vertieft in meine administrativen Tätigkeiten im Büro. Und sah zwischen zwei Telefonaten, dass ein entsprechendes Mail gekommen war. Zuerst dachte ich, das ist ein Fehler. Erst in der zweiten Reaktion habe ich mich sehr gefreut, zurückgelehnt und am Abend aus Anlass eine Flasche Wein geöffnet. Dieser Preis kam für mich total unerwartet.
Was bedeuten für dich Preise im Allgemeinen?
Bewirbt man sich für einen ausgeschriebenen Preis, ist das auch der Versuch, an Geld heranzukommen. Im Grunde bedeuten Preise immer Anerkennung, verbunden mit einer finanziellen Zuwendung, die man immer brauchen kann, erhöht das natürlich die Freude. Es ist schön, wenn man gesehen wird und sich nicht selbst in die Auslage stellen muss. Und ich hatte noch nie so viele Reaktionen auf eines meiner Musikprogramme wie auf diesen Preis jetzt - das freut mich.
Du hast vor über 30 Jahren das Ensemble STUDIO PERCUSSION gegründet. Wie kam es dazu? Wie viele wart ihr zu Beginn?
Ich studierte Schlagzeug an der damaligen Musikhochschule in Graz und wollte ursprünglich mit klassischem Schlagzeug in ein Orchester eintreten. Aber ich kam in meiner Studentenzeit über das musikprotokoll mit John Cage in Berührung und wusste, dass das ein Lichtmoment für mich war und sich neue klangliche Welten auftaten. Wir begannen 1979 als Quartett und spielten im M59. (Anmerkung: Legendäre Location für die junge Grazer Jazzszene im Studentenheim Münzgrabenstraße 59.) Gleichzeitig entwickelte sich das ORCHESTERFORUM, angesiedelt im Forum Stadtpark, wo eine Zeitlang die Aktivitäten überhandnahmen. Wir spielten klassische Schlagzeugliteratur der 60er- und 70er-Jahre und pendelten zwischen zeitgenössischer Musik und Jazz. 1985 veröffentlichten wir die LP „Liederbuch der Grenzgänger", bei der auch Christian Muthspiel mitwirkte.
Das ORCHESTERFORUM wurde zugesperrt und ich spielte mit STUDIO PERCUSSION als Sextett, mit dem ich auch beim musikprotokoll 1989 auftrat. Ich spielte damals mit Studienkollegen und bewusst - mit zwei jüngeren Musikern. Es wurde zu meinem künstlerischen Hauptprojekt: ein Ensemble wie eine Leinwand, auf der ich mein akustisches Bild male, dessen Klänge auch noch nach dem Konzert da sind. Wir spielten auf neuen Musikfestivals, wo wir auch Kontakte knüpften. Wir bauten unsere Instrumente selbst, je nachdem, was wir brauchten. Wir nahmen uns die Freiheit heraus, Musik auszuloten, in verschiedene Bereich einzutauchen. Besonders spannend war das über Kompositionsaufträge auszuleben. Das Ensemble hat selbst Stücke und Musikwerke zu einem bestimmten Thema, wie zum Beispiel „Erotik" entwickelt. Im Rahmen von Straßen- und Figurentheaterfestivals La Strada entwickelten wir abendfüllende Programme wie beispielsweise das Schlagzeugtheater „Wumm!" (2006).
Du warst mit STUDIO PERCUSSION auf der ganzen Welt in verschiedenen Formationen unterwegs. Was ist deine Rolle in diesem Ensemble? Hat sich diese im Laufe der Jahre verändert?
Ich war die ständig treibende Kraft: Was steht an? Was sollen wir nun umsetzen? Grundlage dafür war und ist Akquise. Das kann sehr intensiv sein: Kontakte knüpfen, Austausch pflegen. Aber mittlerweile spiele ich nicht mehr die erste Geige, sondern den Kontrabass. Mein Liebkind ist nach wie vor die Schlagzeugschule, die ich 1993 gründete, sowie die Sommerschule „Austrian Percussion Camp", die heuer zum zwölften Mal stattfand. Ein anderes Projekt war „Faces und Places", an dem sich internationale Musikerinnen und Musiker beteiligten, die aus den verschiedenen Teilen der Welt in Graz gelandet sind. Ich sehe mich hier auch als Musik-Vermittler, um zu zeigen, dass man miteinander kann und sich bemühen sollte, gemeinsam zu leben!
Du bist sehr vielseitig in deinem Tun als aktiver Musiker, Komponist, Arrangeur, Lehrer, Pädagoge. Wie beschreibst du den Kern deines Tuns?
Ich verknüpfe, ja, es ist das Verknüpfen: Menschen unterschiedlichen Alters oder unter- schiedlicher Kulturen, musikalische Stile und Richtungen. Zum Beispiel das Wahlfach „Meet4Music" lädt alle Menschen der Stadt und Studierenden ein - unabhängig von Alter, Geschlecht, Nationalität oder Fach -, sich mit einem vielfältigen und vielseitigen Angebot auseinanderzusetzen, in dem sie Teil eines Ensembles für Popchor, Theater, Drumcircle und Gamelan werden. Oder auch die „Klangwelt 60plus", eine Musikschule, die beweist, dass man niemals zu alt ist, um ein Instrument zu lernen. Auch dieser Instrumentalunterricht offenbart eine Welt des Miteinanders.
Man kann in dieser Antwort eigentlich auch schon die Antwort auf meine folgende Frage herauslesen: Was ist dein Hauptanliegen als Pädagoge, wenn man bedenkt, dass du Alt und Jung, Profis und Amateure, Groß und Klein unterrichtest?
Ja, ich verknüpfe; dadurch entstehen Projekte und Situationen, die erfolgreich sind und weiter Motivation geben. Als Pädagoge ist es mir sehr wichtig, ein humanes Menschenbild weiterzutragen.
Wie beeinflussen oder befruchten sich die beiden Seiten Musiker und Pädagoge?
Ich habe schon relativ früh zu unterrichten begonnen, meine erste Anstellung war in der Musikschule Liezen. Doch nach dem ersten Jahr war mir klar, dass es nicht aus- reicht, selbst ein guter Musiker zu sein, um gute Schüler zu haben. So kam mir das selbstverständliche Bedürfnis, gut zu unterrichten. Das bedeutet für mich gleich viel, wie ein gutes Konzert zu spielen. Unterricht muss lebendig und cool sein. Es ist mir wichtig, ein guter Pädagoge zu sein - und das fordert auch sehr viel. Und es ist die Bandbreite, die sich auf meine beiden beruflichen Seiten auswirkt.
Hat sich die Welt der Musik oder der Zugang zur Musik in den letzten Jahren verändert?
Die Schülerzahlen gehen zurück. Die Ernsthaftigkeit, ein Instrument zu lernen, hat abgenommen, ebenso die Konzentration. Es kommt zu einer Oberflächlichkeit in der Beschäftigung mit Dingen, weil heutzutage jeder alles machen muss. Diese Umwälzung nehme ich auch schon bei den Kleinkindern wahr.
Du bist auch bei Konzerten, Sessions und Musiktheaterproduktionen dabei. Du bewegst dich in unterschiedlichsten Musikgenres, die von zeitgenössischer Musik bis Weltmusik reichen. Gibt es musikalische Richtungen, in die du nicht gehen möchtest?
Ich habe mit Toni Maier (Solotrompeter und ehemaliger Direktor des Johann-Josef-Fux-Konservatoriums, Anm.) Volksmusik gemacht, das könnte ich heute nicht mehr machen. Und ich habe ein gespaltenes Verhältnis zur klassischen Musik. Immer derselbe Topf, der Ressourcen bindet.
Im Bereich des Jazz finde ich immer wieder neue Klänge und neue Rhythmen. Mit der innovativen Musik des Jazz verbinden mich mehr Anknüpfungspunkte, inspiriert auch vom Schlagzeuger John Hollenbeck.
Welche Musik hörst du gerne?
Musik hören ist für mich ganz schwierig, weil ich das analytische Hören nicht ausschalten kann. Heuer am Karfreitag brachte mir die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach, die im Radio lief, eine Erkenntnis, die mir das Hören und Zuhören an und für sich wieder ermöglichte. Ich habe das Gefühl, ich fange wieder an zu lernen.
Was schwebt dir für deine Zukunft vor?
Für die bereits fertige Neuversion der „Carmina Burana" gibt es einige gute Anfragen. Im Sommer produzierte ich „Die sanfte Antwort" bei La Strada und für 2022 arbeiten wir am Projekt „Platzkonzert" mit einem „elektronischen Blasorchester".
Der Corona-Lockdown hat mir aber auch einen ersten Vorgeschmack auf meine Pension, die ich 2022 antreten werde, gegeben und gezeigt, was es heißt, mehr Zeit zu haben - und das hat sich vor allem durch die Verschiebungen ergeben.
Kurzbio Günter Meinhart
Geboren 1957 in Graz, studierte von 1972 bis 1978 Schlagzeug Klassik und Jazz an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz. 1981 Beginn der pädagogischen Arbeit an der Musikschule Liezen, von 1988 bis 1995 leitete er die Musikschule in Ilz, seit 1995 Lehrtätigkeit an der KUG. Er gründete 1979 das Ensemble STUDIO PERCUSSION Graz, 1981 das Ensemble ORCHESTERFORUM; 1993 die STUDIO PERCUSSION school, 2009 das AUSTRIAN PERCUSSION CAMP und 2018 die KLANGWELT 60+.
Interview aus der Publikation zu den
steirischen Landes-Kunst- und -Kulturpreisen 2020