Der Experte für Schnittstellen
Winfried Ritsch meint, die Bezeichnung Medienkünstler komme ihm an nächsten, aber auch nur deshalb, weil konzeptionelle und algorithmische Komposition mittlerweile ein anerkannter Teil der Medienkunst seien. Ein Interview mit einem Experten für Schnittstellen.
Herzlichen Glückwunsch zum Andrzej-Dobrowolski-Kompositionspreis. Was bedeutet dieser Preis für dich?
Es freut mich besonders, weil ich Kompositionstechnik bei ihm selbst gelernt und sein Tonsatzbuch editiert habe. Er hat mir das strenge Kompositionsdenken beigebracht, und seine Werke aufführen zu dürfen, das war sehr prägend für mich. Er war für mich die Eintrittspforte in die damalige Musikhochschule, obwohl ich nicht Komposition studiert habe. Für mein interuniversitäres Studium Elektrotechnik-Toningenieur als Fächertauschmodell mit der Technischen Universität Graz bedurfte es damals einer Sondergenehmigung vom Bund.
Was bedeuten für dich Preise generell?
Nicht so viel, da ich ein Bundesangestellter für Computermusik bin (lacht). Natürlich sind Auszeichnungen etwas Besonderes. Ich habe keinen akademischen Kunstabschluss, daher kann ich mich im Universitätsbereich auch nicht als Künstler bezeichnen. Damit habe ich immer zu kämpfen gehabt. Meine Lehrbefugnis für Computermusik beweist aber, dass ich durchaus künstlerisch tätig war.
Du wirst als Medienkünstler, Wissenschaftler und Tonkünstler beschrieben. Welche dieser drei Bezeichnungen ist dir am liebsten?
Die Bezeichnung Medienkünstler kommt mir am nächsten. Auch, weil die konzeptionelle und algorithmische Komposition nun anerkannt ist. Vor zehn Jahren war das nicht so. Aber die Kompositionsaufträge vom musikprotokoll zeigen, dass experimentelle Performance möglich ist. Das öffnet hoffentlich auch die Türen für viele weitere Preisträger und Preisträgerinnen.
Du changierst zwischen Wissenschaft, Technik und Kunst. Wo siehst du das Verbindende?
Ich arbeite zu 50 Prozent in der Lehre und zu 50 Prozent in der Erforschung und Erschließung der Künste. Die Kunstwissenschaft definiert sich, indem sie reflektierend mit der Kunst arbeitet. Angewandte Wissenschaft kann dann zur Kunst werden. Ich bin froh, dass ich das Handwerk der Klangkunst unterrichte und nicht die Kunst an und für sich. Seine Kunst muss jeder selbst entwickeln.
Gibt es zwischen den einzelnen Disziplinen auch Trennendes?
Das gibt es durchaus Auffassungs- und Interpretationsunterschiede. Für das Stück „Exploration" habe ich Maxwell-Gleichungen, die die elektromagnetische Kommunikation der Erde beschreiben, herangezogen. Gleichzeitig Eingriffe in die Naturgesetze überlegt. In der Medienkunst kann man Phänomene zusammenführen und in einer Performance ausdrücken. Mit Wissenschaft allein kann man keine Kunst machen. Das sieht man auch am Diskurs zwischen der Universität und der KUG.
Was war und ist der Auslöser, in deinem Leben „Neues" zu erfinden?
Der Anlass ist Neugierde, und der innere Zwang möchte wissen, wie Systeme und Gesellschaften funktionieren. Dinge aus einem bestehenden Kontext in einen neuen Kontext setzen. In der Wissenschaft und Technologie möchte ich immer vorne dabei sein, dahinter könnte auch eine Manie stecken: Kann ich Unikate schaffen? Oder wann ist eine künstlerische Idee kopiert worden oder ist es eine Antwort, ein Dialog im Kunst-Diskurs? Daher begrüße ich Open Source, in dem Wissen universell verfügbar und zugänglich gemacht wird. Ich gebe Wissen der Gesellschaft frei, und mir wird aus dem Wissen der Gesellschaft wieder etwas zurückgegeben. Das kommt auch aus einem anarchistischen Denken heraus, alles zu teilen.
Du komponierst und erfindest neue Instrumente. Wie bedingen sich diese zwei Tätigkeiten?
Die Instrumente werden speziell auf eine Idee hin erfunden oder adaptiert und so angewendet, dass sie in einer Komplexität spielen, wie sie grundsätzlich von Menschen nicht gespielt werden können. Dazu kommt, dass ich mich mit Computer und Software auskenne (schmunzelt). Ein Beispiel ist das „Ensemble Mécanique": die Grazer Version von George Antheils „Ballett mécanique", das in den 1920er-Jahren komponiert wurde, als Automaten Stück zum Film von Fernand Léger und Dudley Murphy. Es war damals technisch nicht aufführbar. Der Komponist wollte damit die Ketten der Instrumente sprengen. Wir haben im Grazer Kunsthaus dieses Stück in der Fassung von 1925 mit allen angedachten Instrumenten (fünf Klaviere, zwei Xylophone, eine Marimba, vier Trommeln, ein Tamtam, drei Propeller, sieben Glocken und drei Sirenen) im Originaltempo 153 aufgeführt. Schlussendlich war es eine Musik, die nur mehr schwer zu erfassen war und ist, auch als Hinweis wie uns die maschinelle Welt dirigiert.
Für Wien Modern entwickle ich das Stück „Gesang der Orgel" für robotische Raumorgeln und eine Sängerin, das im Herbst 2020 uraufgeführt werden soll. Ich modelliere die Orgel so um, dass jenseits des Menschlichen „und des Göttlichen" ein akustischer Raum geschaffen wird. Die Orgel spielt dann für sich selber.
Deine Vermischung von Technik und Kunst - äußert sich diese auch thematisch und inhaltlich?
Ich beschäftige mich mit „Auditory Virtual Environments - AVE", in dem es darum geht, Klangumgebungen zu erschaffen, die mit virtuellen Elementen ausgestaltet sind. Dadurch entstehen Klangräume jenseits der Physik - Akustiken, die real nicht da sind. So wird das Klangerzeugen vom Menschen entkoppelt: Die Orgelpfeifen pfeifen Töne, die von einem Computer gesteuert werden. So wird die Orgel zur Musikmaschine, das Programm errechnet die Töne. Der Schöpfer der Musik entkoppelt sich vom Menschlichen und generiert immer Musik, und als Klanginstallation ist dann jede Verbindung von Tönen und Geräuschen Musik.
Wie lange arbeitest du an einem Projekt?
Es gibt Projekte, an denen ich schon seit 20 Jahren arbeite, und die sich immer wieder verändern. Dann gibt es auch schnell umgesetzte Projekte.
Bleiben wir bei der Kunst: Was soll der Rezipient deiner Werke mitnehmen?
Er soll sich dieser Welt öffnen, die aus einer Kombination von virtueller und realer Welt besteht. Es ist ein imaginärer Raum, in dem Dinge entstehen, die man sich nicht vorstellen würde.
Wie schaut der Umgang mit Musik und Kunst bei dir auf der Uni, speziell am Institut für Elektronische Musik aus?
Das gibt es jene, die Computermusik studieren und jene, die ToningenieurInnen werden wollen. Die Kunst der Tontechnik ist hier anders als die der Komposition, wobei bei Computermusik an der Kunstuni hauptsächlich künstlerische Forschung gemacht wird: Artistic Research, kommt aus dem angelsächsischen Unibetrieb und meint mittels künstlerischer Methoden Forschung zu betreiben, früher wurde das auch Etüden genannt oder Übungen, heute ist es akademische Kunst. Tatsächlich gibt es mittlerweile verstärkt durch diese Tendenz zwei parallel Kunstwelten, die akademische und die außerhalb. Wurden früher KünstlerInnen von außerhalb als Gäste eingeladen, damit mit ihnen neue Werke erschlossen werden konnten, übernehmen dies immer mehr WissenschaftlerInnen und ForscherInnen an der Universität selbst. Ich selbst mache eigentlich keine Kunst auf der Uni, sondern „komponiere und kombiniere" Kunst hauptsächlich in meinem Atelier abseits des Instituts.
Wohin bewegt sich die elektronische Musik deiner Meinung nach?
Elektronische Musik geht mit der Computermusik in der normalen Musik auf. Man muss sich weiter Systeme überlegen, die Computer und Komposition stärker miteinander verbinden. Andererseits werden Genres wie Sounddesign, zum Beispiel im Bereich Werbung, immer wichtiger.
Du selbst hast im Jahr 2000 ein Stück mit dem Titel „Lockdown" komponiert. Inwieweit lässt sich hier eine Assoziation zum heutigen coronabedingten Lockdown herstellen?
Das war ein kurzer Beitrag, eine Komposition aus der Punkgruppenzeit, eine Auseinandersetzung mit der Philosophie der kleinen Welt, in die man sich mehr und mehr einschließt und die Wahrnehmung aussperrt. Dadurch entstehen Micro-Worlds. In der Alliteration sind das zerteilte Welten, sichtbar bleiben nur mehr kleine Ausschnitte.
Der Corona-Lockdown war etwas Anderes und hat damit nichts zu tun.
Hatte der Corona-Lockdown im März/April 2020 besondere Auswirkungen auf dich und dein Leben?
Ich hatte in dieser Corona-Zeit mehr Arbeit denn je, denn es mussten rasch virtuelle Räume geschaffen werden, Proberäume für die Studierenden. Und gleichzeitig hat sich die Weltwahrnehmung verändert: Ein quasi virtuelles Virus ist in die reale Welt eingedrungen. Kurzzeitig hat sich die Welt verbessert, aber die Gesellschaft wird's gleich wieder vergessen. Wenn man abstrakt über den Lockdown nachdenkt, könnte auch längerfristig etwas Positives dabei sein: die Vernetzung der Welt.
Gibt es Pläne, was du mit dem Preisgeld machen wirst?
Ich werde das Geld verwenden, um Kunst zu machen. Vielleicht auch, um mir Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, gestrandete Computermusiker, leisten zu können. Im Grunde möchte ich mich intensiv der Komposition widmen und Musik machen.
Kurzbio Winfried Ritsch
Geboren 1964 in Tirol, studierte von 1983 bis 1994 Elektrotechnik/Toningenieur an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst und an der Technischen Universität in Graz. Beschäftigt sich seit 1984 mit Computermusik und Klanginstallationen, gründete 1987 das Klangatelier „Algorythmics" und arbeitet seit 2000 als außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Elektronische Musik und Akustik an der Universität für Musik und darstellende Kunst (KUG) in Graz.
Zur Website vom Atelier Algoryhtmics
Interview aus der Publikation zu den
steirischen Landes-Kunst- und -Kulturpreisen 2020