Bäume im Fokus
In den Arbeiten des Architekten und bildenden Künstlers Ulrich A. Reiterer spielen ökologische und soziale Fragen eine zentrale Rolle. Gemeinsam mit Eva-Maria Jocham widmete er sich im Rahmen eines „Kunstraum Steiermark“-Stipendiums der Funktion des Hofbaums.
Ulrich A. Reiterer, geboren 1982 in Graz, ist ein vielseitiger Künstler und Filmemacher, dessen Arbeiten oft soziale und ökologische Fragen aufgreifen. Nach seinem Architektur-Diplom an der TU Graz bei Hans Kupelwieser spezialisierte er sich an der Akademie der bildenden Künste Wien auf Kunst und digitale Medien unter der Leitung von Constanze Ruhm. Er sammelte internationale Erfahrung durch ein Architekturstudium an der Universidade Técnica de Lisboa in Portugal und begann seine akademische Laufbahn mit einem Telematik-Studium an der TU Graz.
Im Jahr 2009 gründete Reiterer das Atelier UAR Media, das sich auf experimentelle und künstlerische Filmproduktionen konzentriert. Zu seinen Werken zählen Kurzfilmserien wie The God of the Labyrinth, experimentelle Architekturfilme wie Sava Buildering sowie Dokumentationen, darunter das Making-of des „steirischer herbst"-Projekts Die Untoten von Neuberg. Seine künstlerischen Projekte beschäftigen sich häufig mit Themen wie Klimakrise, autarker Energienutzung und der Verbesserung der Lebensqualität. Diese Inhalte setzt er sowohl in filmischen Arbeiten als auch in Installationen um.
Neben seiner künstlerischen Tätigkeit war Reiterer als Lektor an der Kunstuniversität Linz für Raum- und Designstrategien tätig und arbeitete eng mit kulturellen Institutionen wie dem steirischen herbst und der Diagonale zusammen. Er war Mitglied des Forschungsinstituts für experimentelles Design „Triale" und wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit Projektförderungen des Bundeskanzleramts und der Stadt Wien sowie einem Atelierstipendium des Landes Steiermark in Belgrad anno 2018.
Kollaboration mit der Architektin und Landschaftsplanerin Eva-Maria Jocham
Das Filmprojekt Hofbaum (2024) von Eva-Maria Jocham und Ulrich A. Reiterer ist ein 10-minütiger digitaler Film im 16:9-Format und 4K-Auflösung, der sich intensiv mit der Bedeutung von Bäumen als architektonisches Element, Lebensraum und Symbiont auseinandersetzt. Der Film untersucht auf verschiedenen Ebenen und Maßstäben die tiefe Verbindung zwischen Bäumen und Lebewesen und verdeutlicht die Rolle des sogenannten „Hofbaums" als zentrales Element der Lebensqualität.
Dieses einzigartige Experiment ermöglicht ihnen unter anderem das „Kunstraum Steiermark"-Stipendium 2023. So konnten sich die beiden ein ehemaliges Forsthaus in Gallmannsegg (Bezirk Voitsberg) zu einem Atelier und Labor umgestalten, wo sie sich mit klimafreundlichen, naturnahen Baukonzepten beschäftigen. Ihre Arbeit umfasst Installationen aus regionalen Materialien wie Gestein, das mit Wasserdurchlauf eine Art natürliche Klimaanlage bildet und als Raumtrenner genutzt wird. Ohne Mobilfunk und Internetverbindung ist der Raum auf bewusstes Erleben und eine reduzierte Lebensweise ausgerichtet, die das Experimentieren mit nachhaltigem Wohnen in Abgeschiedenheit ermöglicht. Durch das Stipendium können sie sich langfristig und im großen Maßstab mit den Themen ihrer Forschung auseinandersetzen. Sie gestalten den Kunstraum als Ort des Austauschs und der künstlerischen Weiterentwicklung, der auch interessierten Besucher*innen offensteht.
In urbanen wie auch ländlichen Kontexten wird der Hofbaum als Quelle von Naturerfahrung und als symbolisches Zentrum eines Ortes dargestellt. Dabei geht es um die Frage, wie Bäume als Orte des Lebensraums und der Begegnung wirken können und welche Bedeutung sie in der Architektur und Landschaftsplanung einnehmen.
Als Künstlerkollektiv bringen die Architekten Jocham und Reiterer in ihre Arbeit ihre Expertise in den Bereichen Architektur, Landschaftsplanung und Bildende Kunst ein. So beschäftigen sie sich mit zentralen Fragen der Klimakrise, der autarken Energietransformation und der Qualität des Wohnens - Themen, die auch im Film Hofbaum eine wichtige Rolle spielen. Der Film stellt den Baum als Symbol für die Balance zwischen Natur und Mensch in den Mittelpunkt und erforscht seine Bedeutung für die Nachhaltigkeit und das Wohlbefinden in einer sich verändernden Welt.
Bäume im Fokus
Auch in einer älteren Arbeit Reiterers stehen Bäume im Mittelpunkt, nämlich in w/erden (2021). Der Kurzfilm dokumentiert die Wanderung großer Bäume, die von ihrem ursprünglichen Standort in ein neues urbanes Umfeld verpflanzt wurden. In poetischen Bildern zeigt der Film die architektonische Transformation von „was war" hin zu „was sein kann" und verdeutlicht dabei den langen Weg, den die Bäume zurückgelegt haben, um Teil der neu entstandenen Reininghausgründe zu werden. Für viele Bewohner und Bewohnerinnen ist die Vergangenheit des Gebiets schwer fassbar; die urbane Entwicklung hat das Gelände stark verändert. Der Film beleuchtet jedoch nicht nur den Transport von sechs Meter hohen Bäumen, sondern fängt auch das komplexe Zusammenspiel aus Baugeräuschen, motorsägenbedingter Hektik und der ruhigen, sorgfältigen Arbeit des Umpflanzens ein. Die Szenen verschmelzen zu einer Erzählung, die die Zeitlichkeit und Vergänglichkeit solcher Verwandlungsprozesse in Erinnerung ruft.
Naima Noelle Schmidt
Oktober 2024