Von einem, der in Partituren eintaucht und aus Klang auftaucht
Von der malerischen Adriaküste Kroatiens bis in die Zentren zeitgenössischer Musik Europas führt der Weg von Edo Micic – ein Musiker, der sich mit scharfem analytischen Verstand und unerschöpflicher Neugier in den Dienst der Musik stellt.
Geboren in Zadar, einer Stadt, deren Luft von den Klängen des Mittelmeers erfüllt ist, wuchs Micic in einer Familie ohne professionelle Musiker auf. Doch Musik war immer präsent. „Alle sangen ganz natürlich", erinnert er sich. Es war diese Umgebung, die seine Leidenschaft entfachte - und ihn dazu brachte, seinen Vater so lange zu drängen, bis er ihn mit acht Jahren an der Musikschule anmeldete.
Micic fiel sofort durch sein außergewöhnliches Gehör auf. Er begann mit Klavier, Akkordeon und Klarinette, und bald war sein Alltag von Musik erfüllt: Kammermusik, Orchester, Chor und sogar eine eigene Rockband prägten seine Jugend. „Es war eine schöne Zeit", sagt er. „Ich verbrachte den ganzen Tag mit Musik." Der Moment der Entscheidung kam nach einem bezahlten Auftritt auf der Insel Pag: Sollte er sich an der Musikakademie in Zagreb bewerben? Er bestand die Aufnahmeprüfung und begann ein Studium in Musiktheorie und -pädagogik. Die kulturelle Landschaft Zagrebs, geprägt von erschwinglichen Konzerten und Veranstaltungen wie der Musikbiennale, formte ihn nachhaltig. Hier hörte er nicht nur die Klassiker, sondern auch Avantgarde, begegnete John Cage und erlebte Proben von der Renaissance bis zur Neuen Musik. „Das war ein wichtiger Impuls", erinnert er sich.
Der Weg zum Dirigentenpult
Im dritten Studienjahr begann Micic, einen Chor zu leiten. Bald war klar: Das Dirigieren faszinierte ihn mehr als alles andere. Ohne Deutschkenntnisse und mit viel Mut wechselte Edo die Stadt. Graz wurde für ihn eine Brutstätte musikalischer Entdeckungen. Neben exzellenten Lehrern und inspirierenden Komponisten bot das Festival „Musikprotokoll" des „Steirischen Herbst" eine Bühne für Neue Musik. Er dirigierte nicht nur, sondern fand sich bald in einem regen Austausch mit Komponisten und anderen Künstlern wieder.
Schon früh begann er, Uraufführungen und Barock- bzw. Renaissancewerke in einem Atemzug zu präsentieren - eine Praxis, die gleichermaßen Faszination und Unverständnis auslöste. „Die Verbindung von Alt und Neu spiegelt die Vielfalt der Musikgeschichte wider", sagt er. „Ich glaube nicht, dass Menschen neue technische Geräte kaufen, aber alte Musik hören wollen. Warum nicht das Neue mit derselben Neugier betrachten?"
Musik als Fluss der Zeit
2003 war es schließlich so weit: Gemeinsam mit Clemens Frühstück und Kiawash Saheb-Nassagh gründete Edo das Ensemble Zeitfluss, das sich schnell als führende Stimme der Neuen Musik in Graz etablierte. Tourneen führten das Ensemble nach China, Kroatien, Zypern, Belgien und darüber hinaus. Doch warum diese unermüdliche Leidenschaft für Uraufführungen? „Wenn es keine hundert Aufnahmen eines Werks gibt, wird das Spielen zur ehrlichen Begegnung mit der Partitur", erklärt Edo. „Das ist eine analytische Arbeit: Man entdeckt Schwächen, stellt Klangfarben her, zieht Bögen, um ein Stück zum Leben zu erwecken."Besonders prägend war die erste Aufführung des Ligeti-Kammerkonzerts, das zum Fundament der Ensemblearbeit wurde. Die Zusammenarbeit mit Komponisten wie Peter Ablinger öffnete neue Türen. „Es geht nicht darum, in ästhetischen Kategorien zu denken, sondern überall Schönheit zu finden."
Der Dirigent als Vermittler und Unterstützer
Für Edo Micic ist der Dirigent keine bloße Showfigur, sondern ein Architekt des Klangs. „Es gibt eine Energie, die vom Dirigenten auf die Musiker übergeht. Ein Moment des Einrastens, wenn alles zusammenfindet - aber das ist keine Magie, es ist das Ergebnis harter Arbeit." Seine eigene Rolle sieht er pragmatisch: „Ich bin wie ein Verkehrspolizist. Wenn alles läuft, lasse ich locker. Wenn es hakt, bin ich zur Stelle, nicht um dem Publikum zu gefallen, sondern die Musiker zu unterstützen."
Zudem hat die Qualität der MusikerInnen in den letzten 10-15 Jahren deutlich zugenommen. Spieltechniken sowie musikalische Organisationsformen, die einst ungewöhnlich waren, finden sich nun im Repertoire zeitgenössischer KomponistInnen aber auch der MusikerInnen. Dazu trägt auch die Professur des Klangforum Wien an der Kunstuniversität Graz im Rahmen des "ppcm" (performance practice in contemporary music) bei. Das ist natürlich ein Grund zur Freude, denn je natürlicher die Musik entstehen kann, desto leichter und effizienter ist die Arbeit, da die Übersetzungsprozesse von Schrift zu Klang nicht immer trivial sind. Auch hier begrüßt Micic die Zusammenarbeit zwischen KomponistInnen und Ensemble - denn obwohl zeitgenössische Musik tendenziell "übernotiert" ist, wird der Grad der Unklarheit dadurch nicht unbedingt geringer - oft ist das Gegenteil der Fall.
Unerschütterliche Neugier
Heute gehört Edo Micic zu den wichtigen Stimmen der Neuen Musik. Seine Arbeit ist geprägt von einer unerschütterlichen Neugier, die Grenzen verschiebt und den Fluss der Zeit in jedem Klang erlebbar macht. Auch 2025 bleibt Edo Micic vielseitig aktiv: Neben einer intensiven Konzerttätigkeit mit dem "Ensemble Zeitfluss" und dem "Ensemble für Neue Musik" widmet er sich weiterhin seiner Lehrtätigkeit an der Kunstuniversität Graz. Hier verbindet er künstlerische Praxis mit der Ausbildung der nächsten Musikergeneration.
Website: www.edomicic.at
Denovaire
Dezember 2024