„Ich arbeite kontemplativ, nicht dekorativ“
Stefanie Holler erstaunt mit akribisch erstellten Grafiken und bringt wichtige Themen der Zeit mit bewegten Installationen auf den Punkt. So bleibt das Denken in der Kunstbetrachtung ebenso dynamisch.
Wien, U-Bahn-Unterführung Karlsplatz, Mai 2021: Eine riesige Garnspule in einem Schaufenster rollt rotes Garn auf - sie wird dabei von mehreren kleinen Spulen gespeist, nein, sie nimmt es sich, hungrig, gierig, und wird am Ende als einzige dick und fett, signalrot und groß im Mittelpunkt stehen. „Man nennt es Gier" ist der Titel der Installation von Stefanie Holler. Die südsteirische Künstlerin (geb. 1988 in Graz), die in der Meisterklasse von Jan Svenungsson an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert hatte, kommt eigentlich von der Grafik, aber wenn etwas durch Bewegung an Bedeutung gewinnt und diese als „Zusatzqualität", so Holler, ein sinnvolles Element für das Thema des Kunstwerkes darstellt, dann kommt die akribische Denkerin immer wieder gerne auf diese Form des künstlerischen Ausdrucks: „Sie bietet einen großen Spielraum." Diese Installation ging aus einem Video hervor, in dem diese Spulbewegung zu sehen war. Auch eine Zeichnung gibt es zu diesem Thema, das die Gier in destruktiven Beziehungen ebenso meinen wie es auch ein Statement zu wirtschaftlich-sozialen Systemen darstellen könnte. Hier legt sich Holler nicht fest, sondern überlässt dem Publikum seine Assoziationen. Für sie bleibt nur die Frage: Welche Form gibt die Idee am besten wieder?
„Gegenpol zur Bilderflut"
Für den Einsatz von Farbe muss ebenso „ein inhaltlicher Grund vorhanden sein", nur selten verwendet Stefanie Holler die Farbe Rot, es ist immer ein Signal, das den Inhalt verdeutlicht, wie das rote Garn auf der gefräßigen Spule. „Ich arbeite kontemplativ, nicht dekorativ", bekräftigt die Künstlerin, die sich immer vom Alltag inspirieren lässt, „man geht mit offenen Augen durch die Welt und ohne zu planen, fällt etwas auf" - Hinterfragen und Reflektieren ist ganz ihr Ding, „ich grüble sowieso die ganze Zeit", gibt sie ernst zu Protokoll. Ihre Kunst soll ein „Gegenpol zu Bilderflut und Farbenüberschwemmung" sein, deshalb sind auch ihre zahlreichen unfassbar akribischen und detailgenauen Grafiken meistens monochrome Kohlezeichnungen. Diese sind Fotografien nachgearbeitet, die ein wichtiges Werkzeug für die Künstlerin darstellen: Sie projiziert sie auf eine Leinwand und nur kleine Veränderungen unterscheiden die Grafik letztlich von der Fotografie. Das erstaunliche Ergebnis wirft einen neuen Blick auf die Realität, die hier nachgebildet wurde: sitzende Kinder von hinten betrachtet (aus der Serie „reversed realities") oder ein zerschlissener Fauteuil und eine mechanische Schreibmaschine (beides aus der Serie „nostalgia and decay"), die vom Dachboden der Großeltern stammen könnten. Die stumme Serie der menschlichen Rückenansichten stammt wenig überraschend aus der Coronazeit - ein eindringlicher Fokus auf Anonymität und soziale Isolation, der sehr unter die Haut geht. Dass es sich hier um freie Grafik handelt, fasziniert ganz besonders.
Auch die Druckgrafik und der damit verbundene Kontrollverlust beschäftigte Holler, ausgehend von ihrem Studium, lange Zeit - etwa Kupferdruck oder der Tiefdruck Intaglio: „Ich habe viel damit experimentiert, aber derzeit hat das keinen großen Stellenwert."
Stefanie Hollers Kunst in der Albertina
Bis Stefanie Holler in der Kunst Fuß gefasst hatte, verging Zeit, die sie mit Translationswissenschaften (Englisch und Chinesisch) in Wien verbrachte. Die Aufnahme an der Angewandten 2008 war schließlich der Startschuss für eine künstlerische Karriere, die nun so richtig Fahrt aufnimmt. Neben zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen (USA, China, Schweiz u. m.), Personalen im In- und Ausland zeugen wichtige Ankäufe davon, wie ihre Kunst auch von der Fachwelt geschätzt wird: Seit die „Albertina Graphic Arts Collection" Hollers Kunst angekauft hat, mehren sich die Anfragen.
Für die Künstlerin persönlich werden die Werke und Inhalte ad acta gelegt, sind sie künstlerisch für sie abgeschlossen. „Eigene Arbeiten hänge ich mir nicht auf und die Beschäftigung mit dem Thema hat dann auch ein Ende." Was in stundenlanger präziser Arbeit entsteht - Stefanie Holler vertieft sich beim Zeichnen voll und ganz in Hörbücher, meist Krimis, „Spannendes, wo man nicht weggehen kann" - hinterlässt in der Kunstbetrachtung den Drang, sich auf ein Werk voll und ganz einzulassen, in Stille und Kontemplation. So wirkt der Entstehungsprozess noch wesentlich weiter.
Claudia Taucher
Dezember 2024