Musikerin zwischen Experiment und Emotion
Anja Obermayer ist Sängerin, Komponistin und Gesangslehrerin. Nach Studien in Jazz- und klassischem Gesang in Graz sowie einem Masterabschluss in Popularmusik in Wien startete sie 2019 ihr Soloprojekt als Anja Om.
Auf ihrem Debütalbum "Egocentric Vision" (2022), gefördert vom österreichischen Musikfonds, vereint sie Songwriting, Art-Pop, Chorgesang und Improvisation. Ebenso vielfältig kann man sie live erleben, wo sie sich am Klavier, an der Gitarre oder mit einer Loopstation begleitet - und fallweise mit vier weiteren Sängerinnen als „Anja Om Plus". Plus, das sind Veronika Sterrer, Ricarda Oberneder, Mira Perusich und Lucia Karning (Gesang, Klavier, Trommel, Synth-Bass). 2022 tourte Anja Obermayer mit der Band Granada; zusätzlich ist sie Mitglied in den Bands von Conchita Wurst und Lylit, im Jazzsextett „Bye Maxene", und sie ist auf Album „Ploy" des Jazzdrummers Max Plattner zu hören, für das sie eine Nummer beigesteuert hat. Seit 2024 bildet sie zudem ein Duo mit Trompeter Mario Rom. Ihre Arbeit wurde mehrfach gewürdigt, darunter 2024 mit Nominierungen für den Österreichischen Jazzpreis in den Kategorien „Best Newcomer" und „Best Live Act".
Initialzündung
Anja Obermayers erste Berührungspunkte mit der Musik reichen in die frühe Kindheit der 1990 in der Steiermark Geborenen zurück: Ihre Mutter sang im Chor und gründete später ein Quartett, dessen Proben Anja schon als Kind gerne verfolgte. Diese Auseinandersetzung mit Mehrstimmigkeit prägte ihr musikalisches Verständnis und war die Initialzündung für den Wunsch, selbst musikalisch tätig zu werden.
Es folgten Klavierunterricht und musikalische Früherziehung, später der Eintritt in den Steirischen Landesjugendchor in Graz. Schon in dieser frühen Phase zeigte sich Anjas vielseitige musikalische Entdeckungslust. Ihr Unterricht für klassischen Gesang und Klavier am Konservatorium Kärnten schuf die Grundlage für ihre spätere künstlerische Arbeit. Bereits als Teenager gründete sie ihre erste Band: ein A-cappella-Trio, das sich an (aus der Sicht des Konservatoriums „modernen") Jazzstücken wie „Fly Me to the Moon" versuchte.
Diese frühen Schritte wurden maßgeblich durch ihre musikbegeisterten Eltern unterstützt, die sie auch regelmäßig zu Konzerten in Graz mitnahmen. Während des Jazzgesang-Studiums an der Kunstuniversität Graz begann Anja auch, ihr Soloprojekt „Anja Om" zu entwickeln, das heute eine zentrale Säule ihres künstlerischen Schaffens ist.
Inspiration aus allen Künsten
Für Anja ist Musik keine isolierte Kunstform. Sie schöpft ihre Inspiration aus einer Vielzahl kreativer Ausdrucksformen: Film, Theater, bildende Kunst - alles, was eine emotionale Resonanz erzeugt, wird Teil ihres Schaffensprozesses. Besonders Schauspiel fasziniert sie, da Schauspielerinnen und Schauspieler Texte auf eine Weise interpretieren, die sich stark von der Herangehensweise von Musikerinnen und Musikern unterscheidet: Wenn Schauspieler singen, steht für sie weniger der Gesang selbst im Vordergrund, sondern vielmehr die psychologische und emotionale Tiefe, die sie damit transportieren.
Früher spielte Anja Improvisationstheater und brachte von dort Übungen mit, die sie heute in ihre Arbeit einfließen lässt. Der Blick über die Grenzen der Musik hinaus ist für sie essenziell: Kunst entsteht für sie aus einer Verbindung von Emotionen, die nicht nur durch Klänge, sondern auch durch visuelle und narrative Elemente geweckt werden.
Improvisation als kreatives Werkzeug
Improvisation ist ein zentraler Bestandteil von Anjas musikalischem Prozess. Für bietet die Improvisation eine Möglichkeit, Ideen zu konkretisieren, die sich nur schwer in klare Konzepte fassen lassen. Chaos und Spontaneität bekommen dadurch eine Struktur, die gleichzeitig offen bleibt. Ihre Beziehung zur Improvisation war jedoch nicht immer konfliktfrei: Während ihres Jazzstudiums empfand sie die Vermittlung als zu regelorientiert, was die Leichtigkeit und Freiheit der Improvisation zu ersticken drohte. Heute hat sie einen eigenen Zugang gefunden, bei dem sie Regeln als Werkzeug begreift, aber nie als Einschränkung.
Improvisation ist für sie nicht nur beim Songwriting essenziell, sondern auch bei der Komposition. Für Anja Om gibt es in der Improvisation keine Grenzen - weder nach oben noch nach unten. Man kann mit allem improvisieren: mit tausend zufälligen Worten, unzähligen unzusammenhängenden Tönen oder auch nur mit drei. Was sie daran so fasziniert, ist, dass man keinerlei Vorwissen benötigt. Jeder kann improvisieren. Darüber hinaus sieht sie Improvisation als etwas zutiefst Gemeinschaftliches: Wenn Menschen gemeinsam improvisieren, entsteht automatisch eine Form der Kommunikation - ob gewollt oder nicht.
Soloprojekte und Kollaborationen
Die Balance zwischen Soloprojekten und kollaborativen Arbeiten ist ein weiterer wesentlicher Aspekt von Anjas Karriere. Ihr Soloprojekt „Anja Om" entstand aus dem Wunsch, sich selbst herauszufordern. Besonders das Klavier, das sie lange als „Angstinstrument" betrachtete, wurde zu einem zentralen Element. Durch das Schreiben von Songs, bei denen sie sich selbst live auf dem Klavier begleiten musste, überwand sie diese Angst vor den Tasten.
In der Zusammenarbeit mit anderen Künstlerinnen und Künstlern findet sie jedoch eine völlig andere Dynamik. Hier liegt der Reiz im Input anderer. Sie hat beispielsweise Texte zu bereits bestehenden Melodien geschrieben und dabei festgestellt, dass die vorgegebene Musik ihren Fokus beim Schreiben der Texte in neue, unerwartete Richtungen lenkt - anders, als wenn sie erst die Texte verfasst und diese anschließend selbst vertont. Durch den Austausch und die Arbeitsteilung in der Zusammenarbeit öffnet sich ein Raum für neue Perspektiven, in dem etwas völlig Unerwartetes entstehen kann.
Für Anja Om gibt es keine festen Genregrenzen. Sie betrachtet Musik als universelle Kunstform, die nicht durch Kategorien wie Hoch- oder Populärkultur eingegrenzt werden sollte. Ihr Ziel ist es, ein Publikum zu erreichen, das sich ebenso frei und offen auf Kunst einlässt wie sie selbst. Konkurrenzdenken hat in ihrer Arbeit keinen Platz - für sie ist Kreativität keine Frage des Wettbewerbs, sondern des Miteinanders.
Zukunftsprojekte und Visionen
Derzeit arbeitet Anja Om mit ihrem Produzenten David Farrer an einem neuen Album, das sie im Sommer 2025 gemeinsam mit ihrer eigenen Band fertigstellen möchte. Ab Herbst 2025 plant sie eine Tour, bei der sie ihre neuen Songs live präsentieren will. Parallel dazu entwickelt sie ein Duo-Projekt mit dem Trompeter Mario Rom, das sich ebenfalls neuen musikalischen Horizonten widmet. Auch die Arbeit mit einem Orchester steht im Raum, außerdem am 21. März 2025 ein Auftritt von "Anja Om Plus" Volkstheater-Schmusechor im Wiener Konzerthaus.
Mit ihrer Offenheit, ihrem Blick für das Unerwartete und ihrem Drang nach künstlerischem Austausch etabliert sich Anja Om als Musikerin, die sich nicht nur auf ihre Fähigkeiten verlässt, sondern stets neue Wege sucht, Kunst zu erleben und zu teilen und Musik mit einem unverwechselbaren Ansatz zu schaffen.
Naima Noelle Schmidt
Dezember 2024