Musik als Lebensanker
Die Schlagwerkerin Ulrike Stadler ist in vielerlei Hinsicht ein Vorbild. Zudem ist sie die erste Frau, die den Großen Interpretationspreis des Landes Steiermark zugesprochen bekommen hat.
Was war deine erste Reaktion, als du vom Preis erfahren hast?
Ulrike Stadler (lacht): Mich rief eine Freundin an und sagte, dass sie auf der KUG-Website gelesen hätte, dass ich den großen Interpretationspreis gewonnen hätte. Da ich es nicht glauben konnte und vor allem auch nichts davon wusste, rief ich umgehend den Rektor an, und er hob das Telefon mit den Worten: „Herzliche Gratulation" ab. Erst zwei Wochen später bekam ich einen entsprechenden Brief von Landeshauptmann Christopher Drexler.
Wie wichtig sind für dich Preise und Auszeichnungen?
Sehr wichtig, denn sie bedeuten große Freude, Wertschätzung und Anerkennung. Preise machen die eigene Arbeit sichtbar und sind gleichzeitig Motivation, weiterzuarbeiten.
Hast du eine Vorstellung, warum du diesen Preis bekommst?
Ich denke aufgrund meiner Vielseitigkeit und meiner stilistischen Bandbreite in meinem Berufsfeld als Schlagwerkerin. Ich wirkte bei zahlreichen Uraufführungen mit, spiele in kammermusikalischen Besetzungen genauso wie in großen Orchestern. Dazu kommt meine erfolgreiche pädagogische Tätigkeit in der Nachwuchsarbeit.
Hast du mit dem Preisgeld etwas geplant?
Nein, es liegt auf dem Sparbuch. Ich bin mir noch nicht sicher, aber mit dem Geld möchte ich etwas Bleibendes, Nachhaltiges machen. Ich habe einen Wunsch: Ich möchte mir eine ganz spezielle kleine Trommel kaufen.
Legst du Wert auf Begriffsunterscheidungen zwischen Schlagzeug, Schlagwerk und Perkussion?
Ich selbst bezeichne mich als Schlagwerkerin, weil mit Schlagzeug eher das Drum-Set gemeint ist. Es ist aber auch gut, wenn mich wer als Perkussionistin oder Schlagzeugerin bezeichnet.
In der Jurybeschreibung ist zu lesen, dass du als Perkussionistin/Schlagzeugerin ein Role-Model für Frauen bist, weil Perkussion mehrheitlich von Männern gespielt wird. Wie kam es dazu, dass du Schlagzeugerin geworden bist?
Ich begann als Kind im Chor zu singen und Blockflöte zu spielen. In der ortsansässigen Blasmusikkapelle (Anm. in Maria Saal in Kärnten) wurde eine Nachfolge fürs Schlagwerk gesucht. Damals dachte meine Mutter, dass dies etwas für mich sein könnte und meldete mich für den Schlagwerkunterricht in unserer Musikschule an. Die Erinnerung an meine erste Unterrichtsstunde: Es war sehr laut! Doch nach zwei Jahren Unterricht spielte ich in der Kapelle mit. Von der Musikschule kam ich dann ans Konservatorium in Klagenfurt und lernte weiter, dazu kam später auch noch Klavier. Meine schulische Ausbildung war eher naturwissenschaftlich orientiert, weil ich ursprünglich Medizin studieren woll- te. Doch je mehr Ö1-Sendungen und Konzerte ich hörte und besuchte und als ich mit 16 Jahren selbst im Kärntner Sinfonieorchester spielte, desto klarer wurde mein Wunsch, Schlagwerk zu studieren. Ab dem Zeitpunkt wollte ich die beste Ausbildung mit dem besten Lehrer, das war für mich Gerald Fromme an der damaligen Musikhochschule in Graz. Ich war voller Leidenschaft und gab alles für die Musik. Musik wurde zu meinem Lebensanker.
Perkussionsinstrumente, Trommeln, Vibraphon und so weiter haben ja eine Lautstärke und brauchen viel Platz. Wo und wie konntest du üben?
Der Musikverein in Maria Saal stellte mir Raum und Instrumente zur Verfügung, genau so war es im Konservatorium - alle waren sehr entgegenkommend und unterstützend. Schlagwerk hat eine extreme Instrumentenvielfalt, und das ist auch teuer. Jetzt habe ich ein Haus, schalldicht zum Üben.
Zu deiner musikalischen Ausrichtung: Pop oder Klassik?
Eindeutig Klassik mit all den Instrumenten und dem Repertoire. Erich Bachträgl hat als Lehrer in Klagenfurt damals versucht, mich in Richtung Jazz zu bringen.
Mit dem Hintergedanken, dass der Studienzweig Schlagwerk ein männerdominierter ist. Wie erging es dir beim Studieren?
Es war ein steiniger Weg, erstens bis Gerald Fromme mein Lehrer wurde, zweitens war ich über weite Strecken die einzige Studentin. Derzeit bin ich die einzige Lehrende im tertiären Bildungsbereich im künstlerischen Hauptfach Schlaginstrumente in Österreich.
Zum Unterrichten: War das immer schon ein Ziel in deinem Leben, oder hat es sich so ergeben?
Es war schon immer ein Ziel. Doch davor war für mich wesentlich, viele eigene Erfahrungen und Eindrücke zu sammeln und ein Repertoire aufzubauen. Jetzt habe ich den besten Job, den ich haben kann. In der Arbeit mit jungen Menschen kommt man selbst nie zum Stillstand. Dass man junge Menschen in einem kreativen Prozess, den sie mit Leidenschaft durchlaufen, begegnen, begleiten und unterstützen darf, ist ein großes Geschenk.
Wie schaut es beim Unterrichten aus: Hast du besondere Grundsätze?
Das Entwickeln einer eigenen künstlerischen Persönlichkeit steht ganz im Vordergrund. Ich ermutige und stärke die Studierenden, sich selbst zu vertrauen, sich zu trauen, die Komfortzone zu verlassen und sich auszuprobieren. Das Schöne ist dabei der Einzelunterricht, in dem ich mit den Studierenden eine Beziehung aufbaue und herstelle und mich auch auf jede*n Einzelne*n einstellen und einstimmen kann. Ich möchte die bestmögliche Vorbereitung aufs Musiker*innenleben bieten: kreative Persönlichkeiten, die gesund und offen sind. Zur noch besseren Unterstützung habe ich die Ausbildung zur Mentaltrainerin absolviert. Ich sehe die Ausbildung ganzheitlich.
Du selbst hast schon in zahlreichen namhaften Orchestern gespielt: Warst oder bist du Ensemblemitglied oder wirst du für einzelne Produktionen angefragt?
Ich bin Paukistin bei recreation - Großes Orchester Graz. Mit dem RSO (Radio-Symphonieorchester) oder dem Orchester des Stadttheaters Klagenfurt hatte ich beispielsweise Zeitverträge, doch sogenannte Repertoire-Orchester machen mich aufgrund der Routine nicht glücklich. Daher bin ich nach wie vor als Freelancerin in der freien Szene unterwegs, denn ich spiele auch sehr viel Zeitgenössisches.
Apropos Produktionen - gibt es welche, die du in dein „Dauerrepertoire" aufgenommen hast?
Im Grunde habe und kann ich ein großes Repertoire, doch es braucht für jedes Konzert und jedes musikalische Ereignis eine Vorbereitung. Ich übe wahnsinnig gerne und entdecke immer etwas Neues. Für mich ist es auch eine echte Entspannung, wenn ich mit dem Instrument allein bin.
Gibt es Musikepochen oder auch Musikrichtungen, -stile, die dir besonders liegen?
Vor allem Romantik und moderne Musik, das sind jene Epochen oder Richtungen, in denen viel am Schlagwerk passiert.
Du leitest auch die internationale Sommerakademie für Schlagwerk „Percussion meets Identity". Was ist das Besondere an dieser Sommerakademie?
Diese Sommerakademie ist keine einfache Meisterklasse. Es ist vielmehr das Zusammenbringen von Menschen unterschiedlicher Kulturkreise, ein Vernetzen mit vielen Gesprächen. Es ist auch eine ganzheitliche Ausbildungsphase, in der unterschiedliche Spieltraditionen zusammenkommen. Offenheit ist hier wichtig, die unterschiedlichen musikalischen Zugänge zuzulassen. Gleichzeitig möchte ich damit auch junge Talente nach Graz holen.
Gibt es Musikstücke, die du selbst noch nicht gespielt hast, die du unbedingt spielen möchtest?
Für mein Solorepertoire gäbe es noch viel zu lernen und zu spielen. Gleichzeitig bin ich sehr zufrieden.
Ein Blick in die Zukunft?
Ich habe noch einen großen Traum: Ich möchte Schlagzeug in einer Big Band spielen.
Ansonsten wünsche ich mir mehr Anerkennung und mehr Wertschätzung für Menschen, die im Kunst- und Kulturbereich tätig sind. Die freie Musikszene ist in einer prekären finanziellen Situation, vor allem die jungen Musiker*innen geben alles. Schön wäre, wenn Fair Pay flächendeckend in allen Kunst- und Kulturbereichen umgesetzt werden würde. Dazu muss aber Kunst und Kultur auch mehr Gewicht in unserer Gesellschaft bekommen.
Kurzbio Ulrike Stadler
Geboren 1969 in Klagenfurt, studierte ab 1988 an der damaligen Musikhochschule Graz bei Gerald Fromme und Martin Kerschbaum. Sie ist Professorin für Schlagwerk an der KUG und an der Joseph-Haydn-Privathochschule in Eisenstadt. Seit 2012 leitet sie die Academy „Percussion meets Identity", an der Schlagwerker*innen aus namhaften Orchestern der ganzen Welt teilnehmen.
Text aus der Begleitpublikation zu den
Kunst- und Kulturpreises des Landes Steiermark 2024
Stand: Oktober 2024