Als der Kompromiss zum Titel wurde
Für seinen Debütroman „Die Kompromisse“ wurde Florian Dietmaier mit dem Peter-Rosegger-Literaturpreis 2024 des Landes Steiermark ausgezeichnet. Im Interview spricht er über seinen Roman im Roman, ausführliche Recherchetätigkeiten sowie den literarischen Umgang mit Geschichte.
Was war deine erste Reaktion, als du davon erfahren hast, dass du den diesjährigen Peter-Rosegger-Literaturpreis des Landes Steiermark bekommst?
Florian Dietmaier: Es war zuerst ein Unglauben. Denn wie kann man zwei Wochen nach Veröffentlichung eines Werkes schon einen Preis bekommen?
Das Statut des Preises wurde vor wenigen Jahren dahingehend geändert, dass ein literarisches Debüt ausgezeichnet wird.
Oh und ja, da habe ich mich sehr gefreut!
Was verbindest du mit Peter Rosegger?
Mein Vater las mir in meiner Kindheit Peter Rosegger vor, die Schlittenfahrten von der Waldheimat ins Tal sind in meiner Erinnerung. Dazu kommen viele Wanderungen mit meinem Vater, inklusive Naturschutz. Daher waren Peter Rosegger und seine Naturschutzstandpunkte eine Inspiration.
Wie wichtig findest du Preise im Literaturbereich?
Das ist eine wichtige und schwierige Frage. Zurzeit finde ich sie sehr notwendig und wichtig, weil man mit Literatur nicht viel Geld verdienen kann. Ich stelle mir die Entscheidungsfindung in den Jurys schwierig vor, sie sind wahrscheinlich auch ein Kompromiss.
Wann hat dein Interesse für Sprache, geschriebene Wörter begonnen?
Durch das Erzählen eigentlich schon immer. In meiner Familie gab es immer schon sehr gute Geschichtenerzähler. Zudem kam „Herr der Ringe" (J. R. R. Tolkien) in der Schule: Das war, inspiriert von einem Deutschlehrer, meine Bibel, überhaupt Fantasy-Literatur. Erst während des Germanistikstudiums lernte ich das „Neue Erzählen" kennen.
Du hast Germanistik studiert. Ist das ein Fundament für einen Literaten?
Vor allem haben mir Gerhard Melzer und Klaus Zeyringer geholfen, beim Lesen und Arbeiten mit Büchern. Ich habe damals auch schon selber für die Schublade geschrieben.
Und wann dachtest du, einen Text aus der Schublade quasi aus der Hand zu geben?
Erst Jahre später konnte ich mich überwinden, und aus der eigenen Intention heraus schickte ich Texte an die Literaturzeitschrift „manuskripte".
Wann und wie ist die Zeit reif, einen Roman zu schreiben?
„Die Kompromisse" ist ein Roman im Roman im Rahmen eines Großprojektes, mit dem ich 2014 begonnen habe. Angelehnt an die „Ruritanische Romanze", ein Literaturgenre, mit dem Abenteuerromane gemeint sind, deren Handlung in einem fiktiven Kleinstaat angesiedelt ist, ist das Romanprojekt ein Versuch, Weltgeschichte - das Auseinanderstreben der Europäischen Union und von Großbritannien - durch Kleinstaaten zu erzählen. Die Metahandlung ist wie ein Doppelgänger, der durch sein Gedächtnis auf Zurückliegendes blickt. Der Protagonist Peter erlebt die Brüche der Kleinstaaten mit den Vereinten Nationen (UN) in New York, Genf und Brüssel. Gleichzeitig sind da sein zerbrochenes Familienleben und seine innere Zerrissenheit.
Wie lange hast du an deinem Debütroman gearbeitet?
Ich habe ein Jahr daran gearbeitet, dazu kommt noch ein Jahr im Lektoratsprozess, in dem Kapitel dazu- und/oder wegkamen.
Wie war deine Herangehensweise, wie bist du auf das Thema gekommen?
Ich habe meine Geschichtserinnerung übers Zeitungsarchiv wiederbelebt. Dazu recherchierte ich in der Österreichischen Nationalbibliothek und auch im ORF-Archiv, wo ich viele Mittagsjournale nachhören konnte. Wichtige historische Ereignisse für den Roman waren etwa der Tod des Königs Baudouin von Belgien 1993 oder die UN-Konferenz 1989 in Genf.
In welchem Verhältnis stehen Recherchetätigkeit und Schreibarbeit?
Ich denke 60 zu 40. Der Autor Oswald Egger sagt: „Ich schreibe jeden Tag eine Seite." Daher schreibe ich seit 2022 jeden Tag zehn Minuten, auch als Fingerübung.
Wie skizzierst du deine Figuren?
Die Hauptfigur Peter skizzierte ich über das Diplomatendasein, wie einen Max Mustermann, der dünn, sehr sachlich ist, von alter Schule, der Vorsicht zu seinem Leben gemacht hat. Es ist wie eine eigene Geschichte, die ich Peter zuschreibe.
Wie oft hat sich die Handlung verändert?
Die Handlung habe ich nicht verändert, die Sicht des Erzählers war ursprünglich „er", Peter, und wurde zum Ich-Erzähler, dem Enkel. Damit wurde es für mich schlüssig in der Erzählung und kein Problem mehr, etwas wegzulassen oder hinzuzufügen.
Wann und wo schreibst du?
Ich arbeite meistens am PC, recherchiere im Internet, in Zeitungsarchiven oder auch im Staatsarchiv Wien. Ich brauche auch eine Outlinie, ein Ende, das ich hinschreibe. Es ist ein tägliches Arbeiten und auch Überarbeiten. Für die Handlungsstränge lege ich Excel-Listen an.
Welche Rolle oder hat für dich ein Lektor/eine Lektorin? Welche Beziehung gibt es?
Über die „manuskripte" kam ich zur Literaturzeitschrift „Wespennest". Ich wurde vom Droschl-Verlag angeschrieben, und einen Monat später hatte ich einen Vertrag und meinen Lektor Christopher Heil. Es ist eine intensive Bindung, Christopher gab mir sehr gute Hinweise zu den Handlungssträngen und Figuren. Ich bin sehr zufrieden.
Wie kam es zur Titelfindung „Kompromisse"?
Der Titel war ein Kompromiss (lacht). „Splitter" hätte mir gut gefallen, doch das ist der Titel eines Psychothrillers von Sebastian Fitzek, daher nein.
Wie oft hast du Kompromisse für deine „Kompromisse" eingehen müssen?
Das Finden des Titels war der erste und größte.
„Aus ungenutzten Chancen wachsen Kompromisse." Ein pars pro toto deines Romans. Kompromisse sind Lösungen, wo beide Seiten etwas hergeben müssen. Diplomatie ist die Lösungsform, wo beide Parteien Gewinner sind. Wie siehst du das?
Diplomaten und Diplomatinnen arbeiten prinzipiell im Interesse eines Landes, und sie haben in ihren Angelegenheiten immer mit mehreren Konfliktparteien gleichzeitig zu tun. Dann gehen nur Kompromisse als Lösung. Ein Beispiel ist die Sicherheitsdoktrin von Österreich, eine Einigung der Parteien im Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Wie sehr hofft man auf einen Erfolg beim Schreiben?
Ein Erfolg ist es, wenn der Text in sich schlüssig ist und funktioniert, und wenn dies in den Rezensionen bestätigt wird. Die Resonanz erfolgt dann durch Lesereihen und Lesungen, auch wenn das Buch bei Gewinnspielen verlost wird.
Apropos Öffentlichkeitsarbeit: Wie geht es dir mit Lesereisen, Lesungen, Interviews?
Ich bin nicht so gerne unter Menschen.
Was machst du mit dem Preisgeld?
Ich brauche Notizblöcke, denn ich schreibe täglich zwei Haiku, gescheite Druckbleistifte und einen neuen Laptop.
„Über den Inhalt seiner Schreibtischschubladen erzählt man sich in der Szene Wunderdinge", schreibt „manuskripte"-Herausgeber Andreas Unterweger in der Jurybegründung. Woran arbeitest du, worauf dürfen sich Leser freuen?
Der Arbeitstitel des neuen Romans heißt „Spuk", ein Wort mit doppelbödiger Bedeutung, vor allem im Englischen, denn „Spook" hieß auch das Ausspionieren von Gewerkschaften in Amerika der 1950er-Jahre. Gleichzeitig sind „Spukgeschichten" auch Detektiv- und Monstergeschichten. Diese Mehrdeutigkeit werde ich metafiktional reflektieren, dazu kommt ein „alter Text aus der Schublade" und es wird keinen Ich-Erzähler geben, dadurch wird es einfacher.
Florian Dietmaier
Geboren 1985 in Graz, wo er auch lebt. Er studierte Germanistik an der Grazer Karl-Franzens-Universität.
Text aus der Begleitpublikation zu den
Kunst- und Kulturpreises des Landes Steiermark 2024
Stand: Oktober 2024