Komponieren ist tiefe Ehrlichkeit
Shiqi Gengs Kompositionen sind Äußerungen seines Wunsches, mit Musik und Klang Schönheit und Zärtlichkeit auszudrücken. 2024 erhielt der Absolvent der Grazer Kunstuniversität das Andrzej-Dobrowolski-Kompositionsstipendium.
Shiqi Geng schildert seine erste Reaktion auf den Erhalt des Stipendiums in einem Text, den er auf Mandarin verfasst hat und maschinell übersetzen ließ: „Am Nachmittag des 17. Mai 2024 sah ich plötzlich einen Beitrag mit einem Zeitungsausschnitt auf der Facebook-Seite des Ensembles ‚Zeitfluss‘ - das ein Werk von mir uraufgeführt hatte - in dem stand, dass ich das diesjährige Andrzej-Dobrowolski-Kompositionsstipendium erhalte. Natürlich war ich sehr aufgeregt, und die offizielle Nachricht kurz danach hat mir unglaublich viel Kraft für meine weitere Arbeit gegeben. Ich bin meinen Professoren Gerd Kühr und Beat Furrer sowie der neuen Professorin Annesley Black, die ich seit 2023 kenne und die auch die Jurybegründung schrieb, sehr dankbar. Ich habe bereits einen Antrag auf die österreichische Staatsbürgerschaft gestellt, und dieses Stipendium wird mir sicher dabei helfen, mein Leben in Österreich weiter zu festigen."
Shiqi Geng kam 2013 nach nach Graz, um hier an der KUG zu studieren. Er absolvierte das Masterstudium 2022 mit Auszeichnung. Derzeit belegt er einen postgradualen Lehrgang, den Beat Furrer betreut. Er schreibt: „Momentan beschäftige ich mich als freischaffender Komponist mit Kompositionsaufträgen etc. Das ist nicht immer leicht, da ich mich immer selbst bewerben muss, um neue Kompositionsaufträge zu bekommen. Aber seit 2024 habe ich bedeutende Aufträge sowie Aufführungstermine nacheinander erhalten, das wird hoffentlich meinen weiteren Karriereweg erleichtern.
Außer als Komponist ist die instrumentale Korrepetition (als Klavierbegleiter) ein absoluter Traumberuf für mich, insbesondere für Streichinstrumente. Ich war bereits als Klavierbegleiter beschäftigt, bevor ich 2013 nach Österreich gekommen bin.
Momentan schreibe ich meine 2. Sonate für Violine und Klavier, die ich im August 2023 angefangen habe. Die Uraufführung findet im Mai 2025 in Mannheim statt, und ich werde den Klavierpart selbst spielen. Wenn es eine Gelegenheit gibt, würde ich diese Sonate gerne als Violinkonzert bearbeiten. Ein anderes wichtiges Projekt ist meine Oper ‚Le petit prince‘ (Der kleine Prinz) nach Saint-Exupéry, die ich bereits 2013 an- gefangen habe und für die ich nach wie vor eine Aufführungsmöglichkeit suche."
Den Klängen mit der Seele nachspüren
Über seine Musik sagt Shiqi Geng: „Schon seit meiner Kindheit steht für mich fest, dass Komponieren nicht nur bedeutet, Materialien anzuhäufen oder Musik als physikalisches Phänomen zu erforschen, sondern den Klängen gewissermaßen mit meiner Seele nachzuspüren und sie dann auf Papier zu bringen. Komponieren ist eine tiefe Ehrlichkeit mir und meinem Herzen gegenüber. Ich möchte mit meiner Musik zufrieden sein können. Musik weist mehr in die Richtung der Spiritualität." - Ein Vorbild dafür kommt aus der Malerei, genauer gesagt von Marc Chagall, der in zahllosen Bildern die Wirkmacht der Liebe beschwor. - „Meine Weltanschauung sowohl im privaten Leben als auch in meinem musikalischen Schaffen ist von einem klassischen Geist geprägt und gleichzeitig vom Bemühen, die Unschuld meiner Seele zu bewahren. Meine Einstellung wurde einerseits geformt durch westliche klassische Musik, Malerei und Literatur und andererseits durch die psychische Belastung durch das kommunistische Regime meiner Heimat China. Meine Arbeit ist in der Tradition im Sinne von Maurice Ravels ‚Evolution‘ statt ‚Revolution‘, verwurzelt und entspricht nicht aktuellen künstlerischen Strömungen der Contemporary Music. Von Kritikern wird meine Musik daher oftmals als ‚veraltet‘ abgestempelt. Meine Liebe und Hingabe zum klassischen Geist entspringt aber aus den Tiefen meines Herzens - gleich wie es bei den meisten meiner Zeitgenossen der Fall ist, die postmoderne Dekonstruktion, multimediale Experimente oder die Befreiung des Rockmusikgeistes verfolgen.
Der Wert der Demokratie liegt in der Vielfalt. Die Inspiration zu meinen Kompositionen finde ich in meiner inneren Welt, gleichzeitig bleiben äußere Einflüsse und aktuelle Ereignisse in meinen Werken keinesfalls unberücksichtigt, aber diese Reflexion ist immer passiv und indirekt. Für mich bedeutet Komponieren ein Erschaffen von zeitloser und wesentlicher Schönheit, wie sie in den Werken von Vermeer, Rembrandt, Michelangelo, Raffael oder Rodin etc. zu finden ist.
Meine Lieblings-Besetzung ist natürlich das Orchester, aber ich schätze auch das Streichquartett oder ein unbegleitetes Solo (besonders vokal oder eines Streichinstruments) sehr. Über das Orchester kann ich meine Gedanken am besten ausdrücken. Ich bin Perfektionist. Ich gehe mit meiner eigenen Arbeit sehr streng um."
Shiqi Geng hat ein absolutes Gehör - das ist für ihn mit ein Grund, mit Notenpapier und Stift zu arbeiten: „Ich entwickle mein Konzept oft bei Spaziergängen, meistens in der Natur, aber auch in den Straßen der Stadt. Beim Schreiben nutze ich nie direkt den Computer, sondern schreibe zunächst alles mit Stift auf Papier, bevor ich es schließlich in den Computer eingebe."
Shiqi Geng
Geboren 1995 in Baoding, China. Er begann mit zwölf Jahren zu komponieren. Seit 2013 ist er in Graz, wo er an der Kunstuniversität Komposition studierte und den Master 2022 mit Auszeichnung absolvierte. Seine Werke wurden in mehreren Ländern in Europa und Asien aufgeführt. Kompositionsaufträge vom Klangforum Wien und vom Ensemble Wiener Collage werden 2024/25 uraufgeführt.
Hier geht es zu seinem Eintrag in der Datenbank Music Austria
Text aus der Begleitpublikation zu den
Kunst- und Kulturpreises des Landes Steiermark 2024
Stand: Oktober 2024