Die wunderbare Leichtigkeit des Musikmachens
Wenn altbekannte Szene-Haudegen eine neue Band gründen und auf einmal deutsch singen: „Rote Augen“ verknüpfen Gitarrenrock, Psychedelic Rock und Sixties-Pop und klingen dabei frisch, unverbraucht und eigenständig.
Sieht man sich die Besetzung des Grazer Sextetts „Rote Augen" an, erkennt man rasch, dass die Mitglieder dieser Band keine Unbekannten in der steirischen Musiklandschaft sind: Sänger und Songschreiber Matthias Krejan und seine musikalischen Mitstreiter sind Urgesteine der Grazer Musikszene und bemühten sich als „The Sado Maso Guitar Club", den Rocksound der Sixties und Seventies lebendig zu erhalten, während sie mit den „Incredible Staggers" zu den Sixties-Garage-Trash-Rock´n´Roll-Botschaftern der Steiermark wurden. Was die beiden Bands miteinander verband, war ihre DIY-Ethik und die Tatsache, dass sie außergewöhnlich gute Live-Bands waren. Der ganz große Erfolg blieb ihnen aber verwehrt und irgendwann überwog das Gefühl, dass „bei diesen Projekten einfach die Luft draußen war." - Zeit für eine Neuorientierung. So entstand das Sextett „Rote Augen".
Matthias Krejan, der in Graz als Lehrer die Fächer Religion, Philosophie und Psychologie unterrichtet, überzeugte Mitglieder seiner früheren Formationen vom neuen Projekt und konnte auch Siegfried Franz Ulrich von den „Jigsaw Beggars" für die Roten Augen rekrutieren. Der Zugang, Musik zu machen, blieb derselbe wie bei den alten Projekten: das Spielen mit Genres und Formen, das Unterlaufen des Klischeehaften und das Zitieren von musikalischen Vorbildern, ohne je ins Kopieren zu verfallen.
Lässig und abgeklärt
Alle paar Jahre gibt es im Bereich der Pop- und Rockmusik das Phänomen, dass eine neue Band auftaucht und tolle Musik macht, die so naheliegend und vertraut klingt, dass man sich fragt, was denn eigentlich so besonders an ihr ist. An den „Roten Augen" zeigt sich einmal mehr, dass es in der Rockmusik weniger um Kategorien wie neu und progressiv oder bekannt und rückschrittlich geht, als vielmehr darum, ob sie eine Verbindung mit unseren tief verwurzelten Sehnsüchten und Verbindungen eingehen kann. Das Klangdesign des Sextetts ist trotz zahlreicher musikalischer Referenzen ein völlig eigenständiges. Auch weil es den Spagat schafft, einerseits von Song zu Song ganz unterschiedliche Stimmungen zu evozieren, dabei aber nicht zugleich zu zerfasern oder uneinheitlich zu wirken. Der besondere Reiz der zwei bisher veröffentlichten Alben - „Augenlieder" und „Augenblicke" - liegt in der Soundvielfalt und dem Nebeneinander von Lässigkeit und Abgeklärtheit, musikalischem Handwerk und kreativer Leichtigkeit, Authentizität und Hingabe. Und dem Fehlen von fader Routine und Vorhersehbarkeit. „Was ich mache, muss Humor haben - und Hingabe. Und es muss auch Spaß machen", meinte Matthias Krejan in einem Interview mit dem Musikmagazin Mica. „Die Musik die wir mit der Band Rote Augen machen, spiegelt einfach das wider, was und wie wir sind."
Wortspiele und Sprachbilder
Sowohl der Bandname (Rote Augen), als auch die Albentitel („Augenlieder" und „Augenblicke") beziehen sich auf die Sehorgane des Menschen. Wobei beim Bandnamen offen bleibt, welche Assoziationen er freisetzt. Sind es die roten Augen nach einer schlaflosen und erlebnisreichen Nacht, sind es rote Augen, nachdem man viele Tränen vergossen hat, oder sind es rote (blutunterlaufene) Augen, nachdem man unliebsame Bekanntschaft mit einer fremden Faust gemacht hat? Die Titel der zwei Alben deuten im Zusammenspiel mit den Songtexten darauf hin, dass die Band große Freude an Wortspielen und Sprachbildern hat, die Assoziationen wecken und Stimmungen hervorrufen. Der ebenso gewitzte wie gekonnte Umgang mit der deutschen Sprache lädt ihre Songs mit Poesie und Emotion auf und kultiviert ein Song-Narrativ, das sowohl Schlager-Nähe als auch Agitationslyrik meidet. „Ich warte nicht mehr auf den Sommer / Ich mache alles von der Couch aus", singt Matthias Krejan in „Handy Dandy" fast programmatisch. Stehen diese Sätze doch auch für die Leichtigkeit des Musikmachens, der sich Krejan mit seiner Band zweifellos verschrieben hat. Die Mischung aus Charme, Witz, Charisma, Lebenserfahrung und liebenswürdiger Entspanntheit funktioniert. Die nonchalante Einstellung, mit ihrer Musik niemand gefallen zu müssen, gerade dadurch aber vielen gefallen zu können, tut ihrer Musik tatsächlich gut. Textlich hat die Band ihren Weg gefunden: Sie verzichtet auf Kitsch, Klischee und Kulturpessimismus und zieht ihre Zuhörer mit lebensbejahenden Alltagsbeobachtungen, witzigen Wortspielen und assoziativen Sprachbildern in den Bann.
Sounds und Arrangements
Auch wenn das Grazer Sextett mit der deutschen Sprache gekonnt umzugehen versteht und die Songtexte Qualität und Charme besitzen, gilt für sie dasselbe, was Robert Rotifer über die burgenländische Indie-Kultband Garish einmal gesagt hat: „Die sind musikalisch so begabt, dass der Text fast egal ist." Die Pop-affine Produktion ihrer zwei Alben nimmt der Musik jegliche Rustikalität und Verschwitztheit, sie wechselt gekonnt zwischen Midtempo und Uptempo, akustischen und elektrischen Gitarren, und neben Streichern und Bläsern kommen auch Synthesizer und Schlagzeug-Samples zum Einsatz. Die Soundpalette reicht von (Retro)Rock über Psychedelic Rock, Funk und Pop der Beatles- und Kinks-Schule bis hin zu Latino- und NDW-Klängen und Vokal-Arrangements mit Beach Boys-Touch. „Rote Augen" ist so etwas wie eine freigeistige, deutsch singende Grazer Rockband, die in ihrer Musik Vergangenheit und Gegenwart derart klug und schön überblendet, dass man stellenweise das Gefühl hat, die Zukunft zu hören.
Die Alben „Augenlieder" und „Augenblicke" sind auf dem Label Nette Alte Dame Records erschienen.
Heimo Mürzl
März 2025